Fragen zur Physik der Bluesharp
- Wozu “Physik der Bluesharp”?
- Fragen an die Physik
- Gibt es praktische Anwendungen für den Instrumentenbau?
- Was sind selbsterregte Schwingungen?
- Welche Rolle spielen die Schlitze zwischen Zungen und Stimmplatte?
- Die Druckkraft schiebt hin, die elastische Kraft zieht zurück - stimmt das?
- Hören wir unser Bluesharpspiel anders als es unsere Umgebung hört?
Wozu “Physik der Bluesharp”?
Physik prägt mit unzähligen technischen Anwendungen unser Leben. Physik kann aber auch einfach Spaß machen! Zusammenhänge erkennen, den Sachen auf den Grund gehen, viele Phänomene durch wenige Gesetze erklären, dies alles befriedigt das menschliche Grundbedürfnis, die Welt verstehen zu wollen.
In diesem Sinn wollen Arbeiten zur Physik der Bluesharp die komplexe Wechselwirkunge des Spielers mit dem Instrument auf wenige und möglichst einfache physikalische Gesetze zurückführen. Dabei müssen solche Forschungen nicht Selbstzweck bleiben, sondern können darüberhinaus inspirierend auf die Optimierung von Spieltechnik und Instrumentenbau wirken.
Fragen an die Physik
Wie ist es möglich, dass sanftes Ein- oder Ausatmen Metallzungen zum Schwingen bringt? Woher kommt der reiche Klang einer Bluesharp? MRT-Aufnahmen zeigen, dass der Mundraum beim Bending so ähnlich aussieht wie beim Sprechen der Vokale [i] oder [u]. Wie lässt sich diese Querverbindung zur Spracherzeugung erklären? Warum lässt sich ein Instrument besser spielen als das andere?
Gibt es praktische Anwendungen für den Instrumentenbau?
Instrumentenbau und Customizing leben von langjähriger praktischer Erfahrung. Je besser man sein Instrument versteht, desto zielgerechter kann man versuchen, es zu verbessern. Dabei kann natürlich auch das Wissen um physikalische Hintergründe hilfreich sein. Wenn man beispielsweise weiß, wie wichtig Druckschwankungen in der Kanzelle für Bending und Overbends sind, wird man auf möglichst große Luftdichte zwischen Stimmplatte und Kanzellenkörper achten.
Die Eigenfrequenz einer Zunge lässt sich für verschiedene Materialien und Abmessungen mit Hilfe physikalischer Formeln berechnen. Dazu noch ein bisschen Zukunftsmusik: Der Luftstrom durch die Bluesharp ist für Berechnungen auf heutigen Computern hoffnungslos kompliziert. Man hat zwar Gleichungen (die Navier-Stokes-Gleichungen), kann sie aber nicht lösen. Vielleicht kann man eines Tages auf viel besseren Rechnern durch gezieltes Verändern der Kanzellenform oder der Zungengeometrie bessere Instrumente konstruieren.
Was sind selbsterregte Schwingungen?
Beim Spielen auf der Bluesharp kommt aus der Lunge ein konstanter Luftstrom (Blaston) oder es fließt in die Lunge ein konstanter Luftstrom (Ziehton). Im Mundraum, in der Kanzelle und in der Umgebung dagegen schwingt die Luft (deswegen hören wir einen Ton). Und auch die Zungen im Instrument schwingen kräftig. Wie entstehen diese Schwingungen?
In der Bluesharp beeinflussen sich der fluktuierende Luftstrom und die schwingenden Zungen gegenseitig: Luftstrom wirkt auf Zungen ein, Zungen wirken auf Luftstrom ein. Dadurch können sich die Druckschwankungen im Luftstrom und die Zungenschwingungen gegenseitig hochschaukeln. Die Bezeichnung "selbsterregte Schwingungen" für diesen Vorgang bedeutet, dass Luftstrom und Zungen den konstanten Luftstrom aus der Lunge bzw. in die Lunge "selbst" in Schwingungen umwandeln.
Welche Rolle spielen die Schlitze zwischen Zungen und Stimmplatte?
Beim Blaston fließt Luft von außen in die Kanzelle, beim Ziehton von der Kanzelle nach außen. Dabei muss die Luft durch die Schlitze zwischen Zungen und Stimmplatte. Dies schafft sie, indem sie im Schlitz schneller fließt. Die nötige Beschleunigung kommt von einem Überdruck (Blaston) oder einem Unterdruck (Ziehton) in der Kanzelle. Die Schlitzgröße, die Luftgeschwindigkeit im Schlitz und der Druck in der Kanzelle hängen also miteinander zusammen.
Dies ist einerseits wichtig, wenn man das Zustandekommen selbsterregter Schwingungen von Zungen und Luftstrom verstehen will. Zum anderen wird der vom Instrument abgestrahlte Schall von den Schwankungen der Luftgeschwindigkeit erzeugt, die wiederum mit den Luftdruckschwankungen im Kanal und im Vokaltrakt zusammenhängen.
Die Druckkraft schiebt hin, die elastische Kraft zieht zurück - stimmt das?
Bei Blastönen ist der Druck im Kanal höher, bei Ziehtönen niedriger als der Außendruck. Dadurch entsteht eine Druckkraft auf die Zungen. Die elastische Kraft ist eine Kraft, mit der sich die Zunge gegen eine Verformung "wehrt".
Schiebt die Druckkraft die Zunge hin zur Stimmplatte, und die elastische Kraft zieht sie wieder zurück?
Diese Vorstellung ist aus verschiedenen Gründen falsch. Zur Begründung stellen wir uns vor, dass die Bluesharp mit voller Lautstärke klingt (dadurch wird alles übersichtlicher). Die Bluesharpzungen sollen also bereits kräftig schwingen. Entscheidend ist nun, dass die Zungen einer Bluesharp eine Art "Eigenleben" haben:
1.Jede der beiden Zungen im Kanal schwingt fast von alleine. Dabei wechseln sich hauptsächlich die elastische Kraft und die Trägheit der Zungenmasse in ihrem Einfluss auf die Zungenbewegung ab: Wenn sich die Zunge einmal bewegt, "will" sie sich weiterbewegen. Sie hat "Schwung", mit dem sie gegen elastische Bremskräfte anlaufen kann.
2. Wenn man die Bluesharp vom Mund wegnimmt, hört man die Zungen kurze Zeit nachschwingen. Wenn eine Zunge in Kanal #4 einer C-Harp eine halbe Sekunde weiterschwingt, hat sie sich ca. 250mal hin- und herbewegt - und zwar völlig ohne Einwirkung einer Druckkraft. Aus physikalischer Sicht schwingt die Zunge so lange nach, weil bei den Schwingungen nur geringe Energieverluste auftreten. Nur diese Energieverluste müssen durch die Druckkraft ersetzt werden.
3. Elastische Kraft und Druckkraft wirken nicht abwechselnd, sondern beide schwanken jeweils um einen Mittelwert.
4. Die elastische Kraft einer Zunge ist bei einem normalen Ziehton ca. 30mal so groß ist wie die Druckkraft. Bei einem Ziehbend ist sie immer noch ca. 10mal so groß. Elastische Kraft und Druckkraft sind also keine gleich starken "Partner".
5. Die wahre Rolle der Druckkraft ist es, die geringen Energieverluste der schwingenden Zungen auszugleichen. Eine Bluesharpzunge schwingt fast von selbst, aber nur "fast".
6. Den Einfluss der schwankenden Druckkraft auf die Zungenbewegung sollte man sich mehr als eine Art "Bilanz" vorstellen. Während eine Zunge einmal hin- und herschwingt, wird sie unter dem Strich von der Druckkraft mehr beschleunigt als gebremst. Die Druckkraft führt der Zungenbewegung folglich durch Beschleunigen mehr Energie zu als sie durch Bremsen wieder wegnimmt. Die Energiebilanz ist positiv!
7. Da die Zunge nur wenig Energiezufuhr benötigt, genügen dabei vergleichsweise geringe Druckkraftschwankungen.
Hören wir unser Bluesharpspiel anders als es unsere Umgebung hört?
Wie auch beim Sprechen entsteht beim Spiel auf der Bluesharp im Mund ein „Höllenlärm“. Zur Demonstration habe ich mit einem kleinen Mikrofon meinen Bluesharpsound direkt vor der Harp sowie im Mund aufgenommen. Die Fotos zeigen die von einem Mischpult angezeigten Lautstärken in Dezibel (Dezibel ist ein Maß dafür, wie laut wir Schall empfinden): Im Mund ist es viel lauter als vor der Harp!
Beim Sprechen wird ein Großteil des Schalls an der Mundöffnung reflektiert (wofür es leider keine einfache Erklärung gibt). Nur ein geringer Teil des Schalls im Mundraum strahlt beim Sprechen durch den geöffneten Mund nach außen. Bei der Bluesharp ist alles noch komplizierter. Zunächst bewirken die Druckschwankungen in der Kanzelle, dass sich die Luft in den Schlitzen zwischen Zungen und Stimmplatte mit hoher Geschwindigkeit hin und her bewegt. Diese pulsierende Luftströmung erzeugt dann die Schalldruckschwankungen im Außenraum. Da der Außenraum viel größer als die Kanzelle ist, sind diese Druckschwankungen viel kleiner als in der Kanzelle.
Warum hören wir unsere Stimme anders als unsere Umgebung (wie Ton- oder Filmaufnahmen von uns beweisen)? Ein Teil des Schalls im Mund dringt über die Schädelknochen vor zum Innenohr und wird dort wahrgenommen, ohne dass das Trommelfell beteiligt ist. Bei der Knochenleitung werden die hochfrequenten Schallanteile großteils absorbiert. Was wir insgesamt „hören“ ist ein Gemisch aus dem in die Umgebung abgestrahlten Schall und aus unserem „Knochenschall“. Aufgrund des niederfrequenten Knochenschalls hört sich unsere Stimme „voller“, „satter“ an.
Genauso ist es, wenn wir uns selbst auf der Bluesharp spielen hören. Wir hören mehr tiefe Frequenzen als unsere Umgebung. Dies macht sich vor allem auf tief gestimmten Harps bemerkbar. Was fangen wir mit dieser Erkenntnis an? Zum einen sollten wir den von uns beim eigenen Spiel wahrgenommenen Sound genießen. Zum anderen sollten wir uns umso mehr beim Spielen um einen „guten“ Klang bemühen, den dann auch die Umgebung positiv wahrnehmen wird.